Betrugserkennung und Regressmanagement mit KI: Eine neue Ära für die Versicherungsbranche

Bildquelle: Mohamed Hassan auf Pixabay.

Künstliche Intelligenz (KI) wird zunehmend als Schlüsseltechnologie betrachtet, um Prozesse effizienter zu gestalten – von der Schadenbearbeitung über die Betrugserkennung bis hin zum Entdecken neuer Regresspotenziale. Spannend ist vor allem die Fähigkeit moderner KI, nicht nur strukturierte, sondern auch unstrukturierte Daten wie Gutachten oder E-Mails zu analysieren. Erste Erfolge zeigen, dass KI-basierte Ansätze traditionelle Systeme oft übertreffen. Die Branche steht jedoch noch ganz am Anfang dieser Transformation. Technologien wie Large Language Models (LLMs) könnten in den nächsten Jahren entscheidende Fortschritte bringen. Herausforderungen wie das Thema Datenqualität dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden.

Der Status quo: Unstrukturierte Daten als Potenzial

Obwohl die Versicherungsbranche seit Jahren in digitale Systeme investiert, fußen viele Anwendungen weiterhin auf regelbasierten Modellen, die fast ausschließlich strukturierte Daten verarbeiten. Diese Modelle funktionieren in definierten Szenarien zuverlässig, stoßen jedoch bei umfangreicheren Fragestellungen oft an ihre Grenzen. Gleichzeitig bleiben unstrukturierte Daten, beispielsweise Texte aus E-Mails oder Gutachten, oft ungenutzt. Dabei könnten gerade diese Informationen wesentliche Einblicke liefern.

Ein konkretes Beispiel aus der Praxis zeigt dies deutlich: Im Regressmanagement bei Gebäudeversicherungen stecken entscheidende Hinweise häufig in Sachverständigengutachten oder Handwerkerrechnungen. Diese Dokumente enthalten Details zu Schadenursachen, Verantwortlichkeiten oder abweichenden Standards, die auf mögliche Regressansprüche hinweisen. Klassische, regelbasierte Systeme können solche Informationen nicht in die Bewertung einbeziehen, während moderne KI-Modelle sie gezielt analysieren und extrahieren. Mithilfe solcher intelligenten Modelle können also höhere Quoten im Regressmanagement erzielt werden und eine effizientere Nutzung vorhandener Ressourcen wird möglich.

Warum LLMs neue Möglichkeiten schaffen

Die Entwicklung von LLMs könnte in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle spielen. Sie sind in der Lage, nicht nur unstrukturierte Texte zu analysieren, sondern auch komplexe Zusammenhänge zu erkennen und in einen größeren Kontext zu setzen. Damit eröffnen sie der Branche neue Perspektiven, vor allem bei der Automatisierung von Prozessen.

Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Schadenmeldungen, die bisher zeitaufwändig von Sachbearbeitern geprüft werden mussten, lassen sich durch LLMs effizienter analysieren – unabhängig davon, ob die Texte maschinell erstellt oder handschriftlich verfasst wurden. Besonders in der Betrugserkennung zeigen sich die Stärken solcher Systeme. Während klassische Modelle auf bekannte Muster beschränkt sind, identifizieren KI-gestützte Lösungen auch subtile Anomalien, die auf Betrug hindeuten könnten. Solche Fortschritte sind jedoch nicht ohne Herausforderungen, etwa bei der Einbindung in bestehende Prozesse oder bei der Sicherstellung der Datenqualität.

Die Herausforderungen: Datenqualität als Schlüssel

So groß die Potenziale von KI auch sind, der Erfolg hängt maßgeblich von der Datenqualität ab. Unstrukturierte Daten, wie sie in E-Mails oder Gutachten vorkommen, müssen in ein verarbeitbares Format gebracht werden. Dies erfordert nicht nur technische Expertise, sondern auch ein Verständnis dafür, welche Informationen tatsächlich relevant sind. Fehlerhafte oder unvollständige Daten können die Ergebnisse verfälschen und den Nutzen der Technologie beeinträchtigen.

Ein weiterer Aspekt ist die Fragestellung an die KI. LLMs können beeindruckend leistungsfähig sein, liefern jedoch nur dann präzise Ergebnisse, wenn sie gezielt angeleitet werden. Dies macht das sogenannte „Prompt Engineering“, also die Gestaltung der Anfragen an die KI, zu einem entscheidenden Faktor.

Praxisbeispiele: Fortschritte und erste Erfolge

Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele, die das Potenzial von KI in der Praxis verdeutlichen. Unternehmen nutzen beispielsweise Natural Language Processing (NLP), um Schadenmeldungen automatisiert zu prüfen. Dabei erkennt die KI nicht nur offensichtliche Unstimmigkeiten, sondern analysiert auch Sprachmuster und Formulierungen, die auf betrügerische Absichten hindeuten.

Im Bereich des Regressmanagements zeigt sich ein ähnliches Bild: Moderne Systeme analysieren unstrukturierte Daten, um potenzielle Ansprüche gegenüber Dritten zu identifizieren. Gutachten, Rechnungen und andere Dokumente werden automatisch auf Hinweise geprüft, die klassische Systeme nicht erfassen konnten. Die Ergebnisse sind vielversprechend und sorgen für eine signifikante Steigerung der Erfolgsquoten.

Auch die Einbindung dieser Informationen in den Closed-File-Review-Prozess bringt erhebliche Vorteile mit sich. So kann durch die Bewertung der geschlossenen Akten mittels KI eine Vorsortierung derselben vorgenommen werden, welche im Closed-File-Review-Prozess in erster Linie berücksichtigt werden sollten.

Warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist

Die Versicherungsbranche steht an einem Scheideweg. Unternehmen, die frühzeitig in KI investieren und strategische Partnerschaften eingehen, sichern sich langfristig entscheidende Vorteile. Dies gilt besonders für Bereiche wie das Regressmanagement oder die Betrugserkennung, in denen KI schon heute große Fortschritte zeigt. Gleichzeitig ist die Zusammenarbeit mit Technologieanbietern eine Schlüsselstrategie, da Versicherer zwar über große Datenmengen verfügen, aber oft das technische Know-how fehlt, um diese Potenziale auszuschöpfen.

Fazit: Zukunft aktiv gestalten

KI bietet der Versicherungsbranche enorme Chancen, von der Effizienzsteigerung bis zur Erschließung neuer Geschäftsfelder. Erste Anwendungen zeigen, dass insbesondere die Analyse unstrukturierter Daten zu einem Gamechanger werden könnte. Doch diese Entwicklung erfordert Weitsicht und strategisches Handeln. Versicherer, die jetzt investieren und sich mit spezialisierten Partnern vernetzen, können nicht nur ihre eigene Zukunft gestalten, sondern auch die Branche insgesamt prägen.

Autor: Stefan Winkel ist Experte für Schaden- und Betrugsmanagement mit über 25-jähriger Erfahrung in der Versicherungsbranche. Als Team Lead Claims Solutions bei adesso SE kombiniert er technisches Know-how mit praxisorientierten Lösungen, insbesondere bei der Entwicklung und Optimierung von SaaS-Lösungen. Hierbei liegt der Fokus auf innovativen Ansätzen für effiziente Schadenregulierung und Prozessautomatisierungen.

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